Ein Waisenhaus in Danglar

  • Der Wind frischte deutlich auf und die Wellen schlugen höher und höher. Gut dass es nur noch zwei Tage bis Perlhafen sein würden, und so vielleicht auch etwas schneller - wenn nichts schief ging.
    Die Gischt sprühte nur so an Deck, und nun kam auch noch Regen dazu.
    "Komm, gehen wir schnell hinunter!" sagte Jana und machte sich schon auf den Weg, soweit wie möglich an allen möglichen Dingen festhaltend, denn die Fahrt wurde immer unruhiger.

  • Yessy folgte ihr, gehorsam wie ein Schüler der Lehrerin. Im Kopf kreisten seine Gedanken wie schon seit Tagen nur noch um die Grundsteine und das Gefolge, außer wenn diese kleine gemeine Stimme immer wieder von konträren Machtvorstellungen, uneinsichtigen Händlergilden und den alten Überlassenschaften aus der Khardintyrannei plärrte. Aber Jana hatte ihren Standpunkt verdeutlicht, da war keine Möglichkeit zur Diskussion... Wenigstens ging es heute um seine Lieblingsperson aus dem Gefolge, Shebala. Unten angekommen stellte er sich in Demutsstellung hin, um Janas einleitendes Gebet zu hören.

  • im Bauch des Schiffes war es dunkel und stickig, alles schwankte und besonders besorgniserregend war die schwankende Deckenlampe, die mehr alles andere den ungenütlichen Seegang anzeigte. Sie waren eine steile Stiege hinuntergekommen und befanden sich in der Messe, ein fest am Boden verankerter Tisch mit Bänken dazu.
    Oben ertönten Pfiffe und Rufe, und die wenigen unten verbleibenden Seemänner drängten nach oben. Jana machte einen Schritt zur Seite, um sie vorbeizulassen. Statt sich zu setzen, stand Yessy leicht schwankend mitten im Raum. Sie wunderte sich, was er wollte. Sie zog es sehr dringend zu dem Tisch, bloß setzen, bevor man hier umfiel. Ihr war sowieso ziemlich schummrig, was durch die stickige Luft noch verstärkt wurde. An und für sich mochte sie Seereisen, so lange das Schiff friedlich am Wind fahren konnte und sich der Seegang in Grenzen hielt. Aber das hier wurde langsam zu viel. Sie setzte sich schnell und schaute Yessy an."Was ist los?"

  • "Die Frage sollt eich besser euch stellen, Sethem! Ich warte eigentlich nur auf den Beginn deiner Vorlesung, aber du siehst aus, als wenn der letzte Fisch verdorben war. Einfach nnur seekrank, oder ist es was anderes?"

  • "Vorlesung? Du kannst doch selber lesen, falls du das bei dem Schwanken hinbekommst.."
    Jana ist ziemlich grün im Gesicht. "Es ist nichts. Nur das Schwanken. Und es wird schlimmer, hörst du?" Das ganze Schiff knarrt und ächzt im Sturm. Befhle werden gebrüllt, und Regen prasselt auf das Deck. Es war eine dumme Idee, zur Zeit der Herbststürme zu reisen.

  • "Aber Sethem, das haben wir doch schon vor 2 Wochen geklärt. Ich kann ein Buch über höhere Elementarritualmagie lesen, verstehe aber auch nichts und würde etwas sehr dummes fabrizieren, wenn ich das gelesene unerklärt nachmachen würde, und so sieht es mit den Grundsteinen auch aus. Daher euer Unterricht. Und ich finde das Wetter auch nicht viel schlimmer als letzte Woche vor Normont. Ihr seid sicher, daß es nichts mit der Träne zu tun hat? Irgendwas, was dich zurückholen will? Hast du wieder Träume?" Er holte eine kleine Flasche aus einer Gürteltasche und trank. "Auch einen Schluck Medizin?"

  • "Es ist sicher nichts mit der Träne, nur der Seegang. Machen wir es anders. Lies, wenn du kannst, die Grundsteine, vergleiche die einfach Form mit der ausführlichen und dann stellst du mir Fragen, ja?" Jana hat ein wenig Angst, bei dem Geschaukel zu lesen. Sie könnte dann wohl einen Eimer benötigen. Sie versucht sich auf einen Punkt zu konzentrieren. Die schaukelnde Lampe? Ob das eine gute Idee ist?

  • "Wie ihr wünscht, Sethem!" Er steckte die Flasche wieder weg, nicht ohne noch einen zweiten Schluck zu nehmen und setzte sich mit dem Buch auf eine Bank. "Etwas Meditation könnte helfen, Sethem! Stell dir ein gutes Feld kurz hinter Perlhafen vor. Stell dir vor, wie du über den ebenen Boden gehst, den Pflug vor dich herschiebend. Vor dir siehst du das ewig gleiche Auf und Ab des Steinsammlers, und bald ist es kein Auf und Ab mehr, sondern nur noch einziges Bild. du weißt, daß es vorwärts geht, aber nichts bewegt sich mehr. Du wirst ruhig, dein Atem wird ruhig, dein Geist konzentriert sich nur noch auf das Funktionieren deiner Tätigkeit. Du spürst nicht die Hitze, nicht den Schweiß, nicht die Fliegen, nur die Luft, die in deine Lungen ein- und ausfährt."

  • Die Idee so zur Ruhe zu kommen war gut. Nicht das Feld, sie hatte noch nie Feldarbeit gemacht. Sie griff in ihre Tasche und holte ein Messing-Glöckchen heraus, dass sie zu polieren begann. Dann hörte man draussen ein poltern und einen Schrei, lauter noch als der Sturm. Und nur Sekunden später ein Ruf in der Luke: "Sethem, schnell, der Piet!"
    Sie sprang auf. Vorbei mit der Ruhe. Tasche greifen, "Yessy, ich brauche meinen Rucksack aus der Kammer!", die Treppe hochhechten. Im strömenden Regen musste sie sich erst kurz orientieren. Einer der Seeleute, Jan, soweit sie sich erinnerte, band ihr ein Seil um den Bauch, und sie schlingerte über das Deck zu einer Gruppe. Einige hackten mit Äxten auf ein Tau ein, das irgenwas über der Reling hinterherzog. 5 Leute standen am Ruder und hielten es mit aller Kraft. Zwei hielten einen schreienden und wimmernden Patienten fest. Das gerissenene Tau hatte ihn mit voller Macht erwischt. Blut strömte aus einer tiefen Wunde an seiner Schulter, an der die Knochen sehr unschön herausstanden. Ein bisschen höher, und...
    Sie ging neben ihm in die Knie. Das sah böse aus. Regen mischte sich mit Blut und auf dem rutschigen Deck war sie dankbar über die Fangleine um ihren Bauch. "Ruhig Piet, das kriegen wir hin." Sie würde die Knochen hier oben richten müssen, denn bei dem Weg die steile Treppe hinunter, würde sonst alles noch schlimmer werden. Großartig.
    Sie drückte ersteinmal einen Verband auf die zerfetzte Schulter um das Blut aufzuhalten, und besah sich die Verletzung. Das Schlüsselbein war eindeutig durch, der Oberarm ragte aus seinem Gelenk heraus, schien aber unbeschädigt. Das Schulterblatt konnte sie so kaum sehen, aber da waren einige große Splitter. Sie sah sich nach Yessy um.

  • Yessy schluckte bi dem Anblick, dann war der Anflug von Ekel auch schon vorbei. Er griff sich einen der Umstehenden und schrie ihn über das Tosen des Windes an. "Los, renn runter zum Smutje, er soll schauen, daß er einen großen Topf Wasser kocht, wenn er das bei dem Seegang hinkriegt! LOS!" dann nahm er sich den nächsten vor. "Hol zwei Belegnägel und zwei kleine Bretter, wir werden die Schulter hinterher ruhigstellen müssen!" Anschließend ließ er sich neben Jana fallen. "Halten oder Regenschutz? Wenn du es schaffst, seine Blutungen zu stoppen und wir ihn unter Deck kriegen, hat er eine Chance!"

  • "Hier halten!" Sie drückte mit einer Zange die Arterie ab und dass rote Sprudeln wurde deutlich weniger. Yessy griff nach der Zange. Jana nahm Nadel und Faden aus dem Beutel an ihrem Gürtel und versuchte vorsichtig die Enden zusammenzunähen. Wenn nur nicht alles so glitschig wäre. Der Regen machte es nicht besser, sie war inzwischen völlig durchnässt. Ein Glück, das sich zumindest Piet nicht mehr regte, sondern dass Bewusstsein verloren hatte. Da, der letze Stich. Sehr schön. "Danke, vorsichtig loslassen, bitte" Das Herz schlug noch und das Blut floß stoßweise durch die Ader. Zu schwach und unregelmäßig, aber die Naht schien zu halten.
    "Danke, jetzt hier halten, Yessy!" Sie drückte mit Kraft die Clavicula zurück und den Oberarm in seine Position. Nach den Splittern würde sie unten schauen müssen. "Gut, jetzt feste einwickeln, wenns geht mit dem gebrachten Holz." Mit Yessys Hilfe war das schnell geschafft. "Hast du deinen Becher hier? Ich fürchte er übersteht es sonst nicht, auch wenn wir dann alles wieder aufschneiden müssen, wegen den Splittern." Sie hatte nirgendwo ein Zeichen dafür gesehen, das er Erbauergläunig war, und sie konnte nichts fühlen, ob seine Seite aufgeschlagen war oder nicht. Was vermutlich hiess, das er nicht im Buch stand.

  • "Den Becher? Natürlich! Meinst du wirkl... ja, ich denke, du meinst, sonst würdest du nicht fragen. Verzeih, Sehem!" Er wühlte den Becher aus seinem Beutel und füllte ihn mit dem danebenliegenden Quellwasser, dabei drauf achtend, daß sein Hut verhinderte, daß zu viel Regenwasser dazu kam. Dann gab er ihm dem Seemann zu trinken. "Ihr Geister des Schicksals! Ich danke Euch für das Geschenk des Lebens!"

  • Jana hört vorsichtig mit dem Hörrohr an der Brust des Seemanns. Ja, so langsam schlägt das Herz wieder regelmäßiger und kräftiger.Sie nickt Yessy zu. Sie werden ihn aus dem Regen herausbringen und nach unten tragen können. Es wird auch Zeit. Ihre Kleidung ist so voller Wasser, dass man auch eine Rüstung tragen könnte, und das Kopftuch klebt nur so in ihrem Nacken. Und es ist kalt. Ihr schaudert. Glücklicherweise scheint der Sturm aber auch langsam nachzulassen.
    "Es wird alles wieder gut. Ihr könnt ihn runterbringen, aber bitte sehr vorsichtig! Und unten brauchen wir warme Decken und das heisse Wasser."

  • Die anderen Seemänner legten Piet seitlich auf den Tisch und zogen ihn aus. Einer brachte Decken. Piet wurde warm eingewickelt. Man musste ihnen keine Kommandos dazu geben, sie wussten welche Gefahr die Kälte sein konnte. Aber seine Kleidung und die der andern Seeleute schien weitaus weniger nass zu sein als Janas und Yessys. "Yessy, du ziehst dir was trockenes an, ich passe so lange auf ihn auf. Beeil dich." Es schadete nicht, ein wenig zu warten, aufschneiden würden sie die Schulter sowieso müssen. Aber sie wollte auch gerne bald trocken sein. Sie begann Piet am Tisch festzubinden, so dass er nicht bei der nächsten großen Welle vom Tisch rollen würde.

  • Nein, Sethem! Ihr seid viel eher am umklappen und Ihr braucht die Wärme und die Meditation viel mehr als ich. Der Seemann wird erstmal leben, das wisst ihr genau so gut wie ich. Aber Ihr seid ja die Preardin Marzes, die Mutter der Nation. Immer erst die anderen, dann Ihr. Aber das einzige, was über seine Lippen kam, war ein "Jawohl, Sethem!", und vier Augenblicke später war er zurück. "Und nun Ihr, Sethem. Und geht auf dem Rückweg beim Smutje vorbei, oder an Eurer Koje. Jetzt ist es eh zu spät, wir müssen ihn wieder aufmachen." Dann wandte er sich an die anderen Schiffsleute. "Er wird überleben. Morgen werden wir ihn nochmal aufmachen müssen, um die letzten Knochen zu richten, aber dann wird er wieder wie vorher sein. Jetzt bringt uns vier warme Decken, zwei Tassen Tee, wenn der Smutje die hinkriegt, drei Rum und irgendwas zu essen. Und dann geht wieder an die Arbeit." Die geforderten Sachen waren schneller da als die Preardin, also stopfte sich Yessy eine Pfeife, nahm einen Schluck Rum und wartete.

  • Jana war froh, sich etwas warmes und vor allem trockenes anziehen zu können. Dem Verletzten würde ein kleine Erholungspause gut tun. Also setze sie sich zum anziehen der Strümpfe und richten des frischen Kopftuchs auf die Koje. Wie schön, dass sie den Luxus eines eigenen kleinen Raumes mit einer Koje statt der Hängematten der Matrosen nutzen konnte.
    Jana schreckte hoch. War sie doch tatsächlich kurz eingenickt. Hoffentlich nicht zu lange.

  • Die Pfeife war schon lange erloschen und der Seemann bereits wieder eingeschlafen. Yessy hatte ihm mehrmals erklären müssen, was ihn gerettet hatte und was ihn noch erwartete. Am Schwierigsten war es, ihm die Angst vor dem Klabauter auszureden. Als Entlohnung für die Heilung hatte Yessy ihm das Versprechen abgenommen, daß der Matrose drei gute Taten zu begehen hatte, dann wären die Geister des Schicksals und der Meere beschwichtigt. Daraufhin hatte er sich die beiden Gläser Rum gegönnt und direkt runtergestürzt. Nun schnarrchte er auf der Bank vor sich hin. Als die Preardin nach 3 Stunden immer noch nicht zurück war, hatte Yessy kurz nach ihr geschaut, sie aber genau da vorgefunden, wo sie hingehörte und hatte sie einfach schlafen lassen. Ein Klirren aus der Mannschaftsmesse ließ ihn sich erinnern, daß er dummerweise alle Becher auf dem Tisch hatte stehen lassen und das Schiff immer noch nicht aus den Nachwehen des Sturmes raus war. Wenigstens war der Seemann festgebunden, aber Yessy beeilte sich trotzdem, zurück zur Messe zu kommen und die verbliebenen heilen Becher zu sichern. Dann nahm er sich eine Decke, klemmte sich in eine Ecke der Bank und lauschte dem Schnarrchen des Matrosen und wurde erst wieder wach, als Jana die Messe betrat.

  • So wie es in der Messe aussah, hatte sie mehr als fünf Minuten geschlafen. Das passierte ihr sonst nicht. Der Schlafmangel wegen des Geistes hing ihr wohl noch nach. Andererseits kannte sie es aus dem Feld schon recht gut, jede freie Minute schlafen zu können. Es wurde allerdings Zeit, das sie den Seemann operierten, denn wer wusste schon, was der nächste Tag brachte? Im Zweifelsfall mehr Katastrophenfälle und mehr Arbeit.
    "Es tut mir leid, Yessy, ich war wohl länger weg als ich wollte, oder?"


    P.S. kann sein, das es mit den Antworten nun was dauernd. Morgen und übermorgen Kindergeburtstag

  • Yessy wischte sich den Schlaf aus den Augen und den Sabber aus dem Mundwinkel. "Ah, da bist du ja wieder. Ich glaube ja, du warst genau so lange weg, wie du oder besser dein Körper und Geist weg sein sollten. Wenn du dich nun besser fühlst und nicht mehr so gereizt bist, sollten wir den Kapitän fragen, wie das Wetter für die nächsten Stunden aussieht, heißes Wasser vorbereiten lassen und dann können wir nach einem Gebet loslegen. Und was machen wir mit dem Matrosen? Wecken ist gut, aber dann sollte er irgendwas an Kräutern bekommen, damit er die Schmerzen besser erträgt. Hast du was da?"