Asunder hatte gespürt, wie von Bärheims Worte den Raum mit einer Präsenz erfüllten, die beinahe körperlich schien. Süße Worte, und doch so viel mehr als das. Sie gefielen – und dass sie ihr gefielen, gefiel ihr nicht. Es kostete Kraft, sie abzuschütteln, und dass, obwohl sie nicht einmal an sie gerichtet waren. Erst das Klappern des umgestürzten Kelches ließ die Welt in ihre Angeln zurückspringen. Mehr aus dem Augenwinkel sah sie das Zittern seiner Hände und den beschleunigten Atem, und in ihrem Kopf eröffnete diese Verhandlung nun plötzlich eine vollkommen neue Perspektive. Doch eine Antwort würde warten müssen, denn immerhin erteilte Balduin der Bruderschaft das Wort und ein eifriger junger Bruder ergriff seine Chance.
In einem Kampf auf dem Schlachtfeld wäre seine Rede ein Lauf ins offene Schwert gewesen. Ein Schritt nach vorn, um die Deckung des Gegners beiseite zu schlagen, und sich die Waffe dessen von zu viel eigenem Schwung getragen, selbst in die Kehle zu stoßen.
Unangenehm. Blutig. Tödlich.
Asunder erhob sich von ihrem Platz, erstaunlich flüssig und geschmeidig für das Gewicht der Rüstung auf ihren Schultern und durchmaß den Raum mit wenigen, schnellen Schritten, bis sie kaum mehr als eine Schwertlänge vor dem Ordensmeister der Bruderschaft des Lichts innehielt. Kein Wort, nur ein Blick. Dann schritt sie die Reihe der Ordensbrüder ab, bis sie vor dem letzten Redner zum stehen kam.
„Bruder, dessen Name mir leider entfallen ist. Ich denke, es ist nun Schluss mit den freundlichen Reden und freundschaftlichem Entgegenkommen unsererseits. Das haben mir Eure Worte mehr als nur deutlich klar gemacht und auch ich habe diese Farce, Euch Euer Gesicht wahren zu lassen, mehr als satt.“
Sie spreizte die Finger und die Schuppen der schwarzen Plattenhandschuhe klickten leise gegeneinander.
„Es brennt Euch also in der Seele. Und das sollte es auch! Denn geflohen seid Ihr, falls Ihr denn überhaupt einer derjenigen ward, die sich vom Chaos überrennen ließen. Dafür sollte es nicht nur in Eurer Seele brennen, sondern Eure Seele selbst!“ Sie tippte dem Bruder, dessen Namen sie nicht kannte, mit dem Finger vor die Brust.
„Nicht für Eure lahmen Versuche, mich aus der Reserve zu locken. Verbündete des Chaos.“ Sie lachte auf, „Vater Ursun hilf, so nennt mich mein Geliebter im Bett! Scharlatan nannte mich Bruder Olaf“, sie wandte kurz den Kopf, „Wahrscheinlich weil ihm der Mut fehlte, Bastard einer Hure zu schreiben. Da ward Ihr schon fast mutig gegen. Aber nein, nicht dafür.
Sondern für die feige Flucht aus Finsterwalde, wo Euch ganz genau bewusst gewesen sein muss, dass Euch die Wahl der Rückkehr geblieben wäre, und hättet Ihr sie auch mit dem Tode bezahlt. Das ist der Preis für wahre Rechtschaffenheit. Das ist der wahre Preis für Ehre.“
Sie nahm ihre Hand zurück und trat einen Schritt nach hinten, kaltes Feuer in den Augen. Ihre Stimme war keinen Deut lauter geworden, aber schneidig wie ein Gletscherwind.
„Das Andenken Eurer gefallenen Brüder und Schwestern, das Ihr hier ins Feld führt wie ein Banner . . . auch dieses Andenken tratet Ihr mit Füßen! Was glaubt Ihr, tat der Untot mit den Leichen derer, die er fand? Ich weiß nicht, wie viele Eurer Brüder und Schwestern ich ein zweites Mal in die kalte Erde gelegt habe, weil Ihr so viel Mut besaßt, Ihr Andenken zu Ehren, in dem Ihr den wandelnden Leichen
Ihre noch nicht einmal kalten Leiber zum Fraß vorwarft, anstatt sie zu bestatten oder den Flammen zu überantworten.
Das Dorf, das ihr bautet, existierte nicht mehr. Ihr hinterließt einen Friedhof.
Vielleicht hättet Ihr mehr Blut und Schweiß investieren sollen, aber da war euch Euer eigenes Leben eben mehr wert. Die Ironie des ganzen ist, dass Ihr die Ironie Eurer eigenen Worte nicht begreift. Noch immer haltet Ihr an etwas fest, dass nicht mehr existieren würde, hätten wir es nicht neu aufgebaut.
Von welchem gemachten Nest sprecht Ihr also, Bruder, der nicht einmal seinen Namen nannte? Ich wäre dankbar, wenn Ihr Euch vielleicht den relevanten Dingen dieser Verhandlung zuwenden würdet, und endlich aufhört, Euch selbst und die anderen zu belügen. Wie wäre es, zur Abwechslung, nun endlich mal mit ein paar Antworten auf all die Fragen? Oder habt Ihr tatsächlich so viel zu verbergen?!“
Sie wandte sich ab und trat vor Herrn Balduin und Herrn Rafael.
„Jetzt, für die Dauer dieser Verhandlung, nehme ich die Beleidigungen, die die Bruderschaft des Lichts hier vorbringt, zur Kenntnis und sehe sie als Zeichen für Ihre eigene Ausweglosigkeit. Seiner Herrlichkeit“, sie warf einen Blick über die Schulter zu Maghnus und hob eine Augenbraue, „Sei diese Eskapade verziehen. Und ich hoffe, Ihr“, sie blickte wieder zu den beiden ankoragahnischen Adeligen auf,
„Verzeiht mir die meine.“
Und da waren die Worte wieder, die ihr vorhin auf der Seele gelegen hatten.
„Lasst mich versichern, dass“, die grünen Augen huschten zu Herrn Rafael und ruhten einen Moment länger auf den seinen, als es
angemessen gewesen wäre, „je schneller diese Verhandlung hier ein Ende nimmt, die heute von meiner Begleiterin Livven gestellte Fragen an Eure Stelle hin jegliche Relevanz verlieren. Die Priorität gilt dem Finsterwald und dessen sicherer Zukunft, wie auch den anderen Lehen, die an ihn grenzen. Alles, was von Eurer beider Seite, hohe Herrschaften, zur Klärung dieser Angelegenheit beigesteuert werden kann, ist erbeten und willkommen und soll nicht ungedankt bleiben, besonders nicht in
Zeiten wie diesen.“
Sie trat an Ihren Platz zurück.
„Wenn Ihr gestattet, würde ich gern einem meiner Begleiter nun das Wort erteilen. Dawon. Kael. Einer von Euch . . .“