Am Pranger in Karan
Karan, Hauptstadt des Imperiums von Ankoragahn
wenige Wochen nach dem Sommerfeldzug auf Mitraspera
Die komfortable Zelle, in der Rafael von Bärheim die letzten Tage verbracht hatte, war zwar nicht verschlossen,
aber sie wurde dennoch bewacht. Die Administration in Karan wusste, dass Rafael nicht fliehen würde. Er war arm
aber eben auch stolz. Außerdem wäre dann alles nur noch schlimmer geworden wusste der Vogt und so fügte sich in sein Schicksal.
Daher blieb ihm auch nicht verborgen, dass schon Tage zuvor mit Handzetteln für dieses Großereignis geworben wurde.
Alle Gilden der Stadt versuchten möglichst viel Gewinn aus der Zurschaustellung des prominenten Helden zu schlagen.
Am Tage der Urteilsvollstreckung überraschte es also nicht, dass der Marktplatz von Karan von einer unüberschaubar
großen Menschenmenge bevölkert war und zahllose Händler mit Bauchläden von Souvenirs wie „Rafael´s Reisen“ bis
Leckerbissen alles Erdenkliche feilboten. Einmal vermeinte er in der wogenden Menschenmenge auch das eine oder
andere bekannte Gesicht eines Kameraden erkannt zu haben, aber vielleicht hatte er sich auch getäuscht.
Als der Henker ihn an die Kette des steinernen Schandpfahls legte, fragte Rafael sich nochmal, was in seinem Leben
eigentlich schiefgelaufen war und wie es soweit kommen konnte. Das Imperium vor einer Dämonin gerettet? Untote
Lichtbrüder bekämpft? Eine Tochter von Bailos gerettet? Im Feldzug gekämpft? Rafael dachte an seine Reue, welche
er im letzten Jahr schon gezeigt und die Witwe Kahltal samt Kindern mit Obdach, Brot… und dünner Suppe versorgt
hatte. Tja, aber dies war für das hohe Gericht offenbar nicht eindrucksvoll genug gewesen. Rafael hatte, zumindest
auf dieser besagten Expedition, nur das Gute gewollt, aber alles hatte sich ins Gegenteil verdreht... wie ein Stück Seil
und dieser Strick lag nun rachsüchtig um seinen Hals. Da hatte er seine ganz eigene, verquere Weltsicht. Jetzt stand
er hier und blickte dem Gemüse mit gemischten Gefühlen entgegen. Natürlich würde er hieraus eine Lehre ziehen.
Seine ganz eigene ungute.
Damit der Delinquent nicht zu Tode kam, hatte die Administration ein Feld um den Pfahl abstecken und Freiwillige
auswählen lassen, welche die Strafe ausführen sollten. Und es wunderte niemanden, dass es ausnahmslos an die
zwanzig Frauen waren, die dann gegenüber des Schandpfahles Aufstellung nahmen. Rafael schaute unsicher den
Frauen entgegen. Von einigen der Hübscheren fiel ihm sogar auf Anhieb der Name wieder ein… Ein Mädchen mit
Zöpfen lief mit Tränen in den Augen auf ihn zu, doch noch bevor sie ihn erreicht hatte, wurde sie von den Stadtwachen
aufgehalten. Aber dann ging es auch schon los. Während die Damen nun unter wüsten Beschimpfungen Rafael mit
alten Obst und fauligem Gemüse bewarfen, hielten die Stadtwache die tobende und johlende Menge in Schach.
Nicht oft kam es vor, dass ein Held des ankoragahnischen Imperiums und Vertreter der Obrigkeit, so erniedrigt wurde.
Für Rafael dauerte es eine Ewigkeit, bis es endlich ein Ende hatte. Er war übersäht mit blauen Flecken, blutete
aus mehreren Platzwunden am Kopf und stand knietief in den stinkenden Obst- und Gemüseresten, aber es fanden
sich auch mehrere vergammelte Hühnchen darunter. Eigentlich hätte er gegrinst über diesen alten Scherz, doch
danach war ihm nicht mehr zumute. Als er losgebunden wurde, wäre er fast gestürzt, doch zwei Wachen fingen
ihn auf und brachten ihn durch die noch immer grölende Menschenmenge zurück zur Zelle.
Noch in derselben, sternenlosen Nacht sattelte er sein Pferd und verließ - nun als freier Mann - mit tief in die Stirn gezogener Kapuze die Hauptstadt.