Ein weiterer Tag in Waldwacht

  • Ein kaltnasser Morgen im trostlosen Lehen Waldwacht. Veteranengardist Karl der Köhler tritt aus seinem Zelt, sein Blick fällt auf zwei weitere Soldatenzelte und eine Feuerstelle, die im Schutz weniger Steinquader glimmt.
    Er wirft ein paar Scheite in die Glut und irgendwann ist die Kälte der Nacht aus seinen Knochen gewichen.
    Schließlich hol er das Truppbuch hervor und schreibt wie fast jeden Morgen den Bericht des vergangenen Tages:


    Außenposten Waldwacht, Tag 62
    Keine besonderen Vorkommnisse weder Menschen noch andere Kreaturen angetroffen
    Alle fünf Mannen wohlauf
    Für den Imperator und das Reich


    Wie gerne säße er jetzt in einer gut befestigten Kaserne oder sogar in Valensdorf - Hauptsache ein Dach über dem Kopf oder sogar ein Kamin. Wenn er diesen Lügner erwischt, der ihm das angetan hat. Erst die Beschuldigung mit der Tavernenschlägerei, dann die Geschichte mit dem Kind und der Höhepunkt war das Gerücht, dass er etwas mit der Frau des Hauptmanns angefangen hätte.
    Nun sitzt er hier in der Einöde, als "Oberbefehlshaber" über die Ankoragahnischen Streitkräfte in Waldwacht: den zahnlosen Ben, den dicken Alrik, den lahmen Franz und Tom, der gerade unter dem fehlenden Schnapsnachschub leidet. Noch vier Monate, dann darf er endlich wieder marschieren und strammstehen, wenn sich die Osttruppen zum Manöver einfinden.Doch solange hat er die glorreiche Aufgabe, das befriedete Lehen Waldwacht zu sichern und die Siedler zu schützen. Welche Siedler? Außer Wald, Sand und viel Regen gibt es hier nichts.

    Bruder Xaver - Priester der Hel
    Fähnrich Karl der Köhler - Veteranengardist der VI.III.III

  • Außenposten Waldwacht, Tag 63
    Keine besonderen Vorkommnisse weder Menschen noch andere Kreaturen angetroffen
    Alle fünf Mannen wohlauf
    Für den Imperator und das Reich


    Nicht im Truppbuch hat Karl das eigenartige Verhalten seiner "Truppe" am Morgen dieses Tages vermerkt. Tatsächlich hatten sich der lahme Franz und Schnaps-Tom mit Alrik und Ben gestritten, wer auf Patrouille gehen darf. Fast hätte es eine Schlägerei um diese bisher ungeliebte Aufgabe gegeben. Land und Wetter schlagen der Truppe offensichtlich aufs Gemüt. Am Ende mussten alle vier Soldaten den doppelten Weg patroullieren und Karl hatte seine Ruhe.

    Bruder Xaver - Priester der Hel
    Fähnrich Karl der Köhler - Veteranengardist der VI.III.III

  • Auch der nächste nasskalte Tag beginnt am Lagerfeuer mit der Weiterführung des Truppbuchs:


    Außenposten Waldwacht, Tag 64
    Keine besonderen Vorkommnisse weder Menschen noch andere Kreaturen angetroffen
    Alle fünf Mannen wohlauf und bei guter Laune
    Für den Imperator und das Reich


    Die vier Soldaten sind gemeinschaftlich zum langen Patrouillengang aufgebrochen. Sie waren hoch motiviert und sind ohne Murren aufgebrochen. Karl genießt die Ruhe am Lagerfeuer, dennoch wundert er sich über den Stimmungswandel im Trupp. Seine eigene Stimmung ist weiterhin bescheiden.


    Gegen Mittag tritt plötzlich ein einzelner Wanderer von Süden her auf die Brachfläche, die früher einmal das Dorf Waldwacht war.
    "Bailos zum Gruße!", begrüßt Karl den Fremden mit der Hand an der Waffe, "Was führt Euch hier nach Waldwacht?"
    Der Fremde stammelt: "Waldwacht ... Bailos ... ja, Bailos zum Gruße Euch auch ... ich will endlich einen Sohn bekommen!"
    Karl ist sichtlich irritiert: "Ich wüsste nicht, wie ich dabei helfen könnten." Kurz überlegt er, ob irgendwo im Wald ein Haus voller einsamer Frauen stehen könnte und die Soldaten deswegen so gut gelaunt sind. Doch er verwirft diesen abwegigen Gedanken, als der Wanderer antwortet: "Hier in Waldwacht ist doch der Bailos-Stein. Wenn man - da bin ich mir ganz sicher - ein Opfer bringt und am besten einen Zettel mit der Bitte zwischen die Steine schiebt, geht er in Erfüllung. Also werde ich in weniger als einem Jahr einen Sohn in den Armen tragen." "Guter Mann!", entgegnet Karl, "Es ist allgemein bekannt, dass Sankt Bailos der Schutzpatron der Wächter und Garde ist. Betet zu ihm, wenn Euer Haus, Eure Stadt oder sogar Euer Land von Feinden bedroht ist und Ihr den Gegnern standhalten muss. Sein Mut wird Euch dann erfüllen. Ich habe es oft in der Schlachtreihe gespürt." Es folgt eine lange theologische Diskussion über das wahre Wesen des Heiligen. Ohne Einigung trennt man sich. Das letzte Wort behält der Fremde: "Ich werde zum Beilstein gehen, Kupfer und den Zettel ablegen und in neun Monaten ist der Beweis erbracht! Lebt wohl!"


    Langsam sickert das Wort 'Kupfer' in Karls Verstand. Sind die Soldaten deswegen seit zwei Tagen guter Dinge? Hier sind einige Gespräche notwendig.



    Nachtrag
    Tatsächlich hatten beide Recht, der fremder Pilger und Veteranengardist Karl der Köhler. Denn während der theologischen Diskussion aber viele Tagesreisen entfernt betrat ein gutaussehender Mann das Haus des Fremden, um kurze Zeit später das Bett mit dessen Frau zu teilen. Etwa neun Monate später hielt der Pilger einen Sohn in den Händen, was nur durch die langer Pilgerreise geschehen konnte. Ohne die lange Diskussion aber hätte der Fremde sein Kupfer am Bailos-Stein zwei Stunden früher geopfert. Bailos sei Dank, wären Heim und Haus geschützt gewesen und niemand hätte vergessen, die Tür fest zu verschließen. Der Schönling hätte einer anderen Frau schöne Augen gemacht.

    Bruder Xaver - Priester der Hel
    Fähnrich Karl der Köhler - Veteranengardist der VI.III.III

  • Der nächste Morgen beginnt nicht am gemütlichen Lagerfeuer. Stattdessen schallt es über den Lagerplatz:
    "Ben, Alrik, Franz, Tom - Außenposten Waldwacht - ANTRETEN - SOFORT!"


    Kurze Zeit später stehen die vier Soldaten in einer Reihe und Karl hält ihnen einen kleinen Zettel vor die Nase.
    "Wisst Ihr, was das ist? Wisst Ihr, wo ich diesen Zettel gefunden habe?"
    Karl faltet den Zettel auf und liest vor: "Bailos hilf, schenke mir einen Sohn."
    Nach einer kurzen Pause fährt er fort: "Dieser Zettel steckt im Bailos-Stein. Außerdem steckten dort etwa zehn andere Zettel und ...", Karl hält eine Kupfermünze hoch, "Dort lag auch dies!"
    Die vier Soldaten gucken verschämt auf den Boden. "Taschen leeren!", brüllt Karl und nach einiger Zeit hält er elf weitere Kupfermünzen und sogar einen Silber in der Hand.


    Neue Befehle werden erteilt. Von nun an, besucht eine Patrouille aus zwei Mann stündlich den Bailos-Stein. Alrik baut einen Opferstock, in den die Pilger das Geld einwerfen können. Dieser soll täglich geleert und alle Einnahmen sollen notiert werden.


    Endlich findet Karl Zeit, in das Truppbuch zu schreiben.


    Außenposten Waldwacht, Tag 65
    Einen harmlosen Wanderer, der zum Bailos-Stein pilgerte im Lager angetroffen, keine weiteren Kreaturen
    Alle fünf Mannen wohlauf
    Opfergaben für Bailos gesichert: 1 Silber, 12 Kupfer
    Für den Imperator und das Reich

    Bruder Xaver - Priester der Hel
    Fähnrich Karl der Köhler - Veteranengardist der VI.III.III

  • Außenposten Waldwacht, Tag 76
    Zwei weitere Pilger angetroffen, einen Pflanzensammler aufgespürt und kontrolliert, keine weiteren Kreaturen
    Alle fünf Mannen wohlauf
    Opfergaben für Bailos gesichert: 1 Silber, 18 Kupfer
    Für den Imperator und das Reich


    Karl macht sich zunehmend Sorgen. Gestern kamen zwei weitere Pilger zum Stein. Als er später die Zettel prüfte, die in die Spalten geschoben wurden, stellte der fest, dass der eine Wunsch sehr vernünftig war. Der Pilger wünschte sich Schutz für sein Heim, nachdem sein kleiner Hof bereits zweimal geplündert wurde. Auf dem anderen Zettel stand jedoch: "Sankt Bailos schenke uns Frieden!". Die Bailos' Verehrung muss in geordnete Bahnen gelenkt werden, sonst erreichen uns irgendwann die verrücktesten Bitten.


    Neben dem Pilger stießen der Trupp weiter entfernt im Wald auf einen Mann, der einen Sack mit frisch gesammelten Kräutern mit sich trug. Erst versuchte er sich zu vertecken. Doch Ben hat zwar nur wenige Zähne aber zwei schnelle Beine. Er stellte ihn und zog alle seine Sachen auf links. Der gute Mann fror zwar, als er nackt im Wald stand, doch er hatte nichts Verdächtiges oder gar Verbotenes bei sich. Das Pflücken einiger Kräuter ist im imperialen Wald in der Regel nicht verboten.

    Bruder Xaver - Priester der Hel
    Fähnrich Karl der Köhler - Veteranengardist der VI.III.III

  • Außenposten Waldwacht, Tag 240


    Das Wetter in den Bergen von Waldwacht ist mal wieder mehr als mies.
    Obwohl der Vormittag schön war, regnet es seit dem Mittag aus Eimern.
    Es ist trübe, die Wolken lassen den Nachmittag fast bedrohlich erscheinen.
    Ein Mann steht vor dem Bailos-Stein. Keiner hat ihn kommen sehen.
    Mit beiden Händen hält er sich am Bailos-Stein fest.
    Das Wasser läuft ihm an den Armen bis zum Ellbogen und tropft von dort auf den Boden.
    Alles andere von ihm ist in einen Mantel gehüllt, sein Kopf steckt unter einer Kapuze.

    [align=center]Balduin vom Dunkelsee, Herold des Ankoragahnischen Imperiums,
    Gewinner des Bogenschützenturniers in Mythodea,
    mit dem Leitspruch:
    "Honni soit qui mal y pense"