Lion's den

  • Asunder ließ sich auf ihrem Platz nach unten rutschen, schwang ihre Stiefel auf den zerschrammten Holztisch und kaute zufrieden auf einem Stück Hartkäse, wobei sie kurz, aber schmerzlich, das Fehlen von Tyras Vogelbeeren bedauerte. Die Gespräche während des Essens waren in ungezwungenes Feiern übergegangen, dank guten Weines und hartem Selbstgebrannten aus der Heimat. Lokir, der über den Abend hinweg mittlerweile genau so viel Schräglage in seinem Gang hatte, wie der Wein in seinem Becher, ließ sich auf den Stuhl neben ihr fallen und warf ein kleines, in gewachstes Tuch eingeschlagenes Päckchen auf den Tisch.
    „Hast du sicherlich vermisst.“


    Asunder löste die enge Verschnürung mit dem Messer aus ihrem Stiefel und starrte für einen Moment lang beinahe fassungslos auf das, was da vor ihr lag.
    Dann fiel sie ihrem Bruder mit einem begeisterten Aufschrei um den Hals.
    „Bei seinen blutigen Händen, Lokir, du weißt gar nicht, wie sehr!“
    Sie löste sich von ihm und fuhr mit spitzem Finger über die leicht klebrige Oberfläche dessen, was aussah wie ein Barren absoluter, glänzender Schwärze.
    „Nicht alles auf einmal“, neckte er sie und sie schnappte spielerisch nach seiner Kehle. „Ey“, rief sie einem Soldaten zu, der sich die Hände am Kaminfeuer wärmte, „Gib mir mal nen Kienspan!“


    ~*~


    Lethan verfluchte sein Leben und diesen ganzen verdammten Kontinent. Nass vom Dauerregen eilte er von den Stallungen über den Dorfanger hinüber zum Haus der Ordensmeisterin. Hinter den hohen Fenstern im Erdgeschoss brannte trotz später Stunde noch gedämpftes Licht. Ein letzter Blick über die Schulter, man konnte ja nicht wissen, was einem da aus Bärheim gefolgt war, dann trat er unter das schützende Vordach und durch die Tür. Ein junges Mädchen mit Schürze huschte an ihm vorbei, ein paar leere Schüsseln in den Armen, und verschwand in der Dunkelheit hinter ihm.


    Drinnen war es fast schon zu warm. Lediglich der Kamin brannte flackernd hell und auf den Stufen davor saßen Asunder und- „Lokir?“ flüsterte Lethan, mehr zu sich, doch es reichte, dass der Benannte den Blick hob. Seine grünen Augen fanden ihn allerdings nicht. Irritiert huschte Lethans Blick durch den Raum.
    Der Ritter war wohl kaum allein zu diesem Ende der Welt gekommen, doch von seinen Soldaten war hier, bis auf einen vergessenen Helm und einen liegen gebliebenen Umhang nichts mehr zu sehen – und das wohl auch nicht ohne Grund. Wenn er richtig über das urteilte, was er sah, war es wohl auch klüger, nicht länger als nötig in der Höhle der Löwen zu verweilen. Wie gut, dass er keine Wahl hatte.


    Vorsichtig trat er näher, ohne die beiden am Kamin aus den Augen zu lassen.
    Die Luft war schwer und zäh wie Honig. Er schauderte und wartete, bis Asunder zufrieden Rauchringe gegen die Decke bließ, und die kleine, langstielige Pfeife an ihren Bruder weiterreichte.
    „Lethan, zurück aus Bärheim?“
    Er nickte und mit einem mal sprudelte all das aus ihm heraus, was er eigentlich in wohl überlegte Worte hatte kleiden wollen.
    „Ja, Bärheim! Bärheim! Ich habe die Nachricht überbracht. Die Sturmfalken waren auch da. Also, eher einer davon. Sie haben gestritten – die Bärheimer. Und-“ er holte tief Luft, „Ich weiß nicht, was sie getan haben, aber es sind Raksha nach Bärheim gekommen. Und wir wissen alle, was diese verfluchten Biester anlockt. . . Vielleicht solltest du dir deine Verbündeten ein bisschen besser aussuchen, Asunder! Nie wieder setze ich einen Fuß auf dieses verfluchte Land. Eher könnt ihr mich nackt in Waldwacht über einen Zaun hängen!“


    Lethan endete seine Tirade, die Hände zu Fäusten geballt, die Fingerknöchel weiß und wartete, dass das Unwetter über hin hineinbrechen würde, welches das, was ihn von Bärheim bis hierher verfolgt hatte, wohl wie einen lauen Sommerregen erscheinen lassen würde.


    Langsam beugte sich Asunder nach vorn, die Ellbogen auf die angewinkelten Knie gestützt und das Kinn auf die verschränkten Hände, die grünen Augen auf den Boten gerichtet. Dieser spürte, wie seine Beine zu zittern begannen und wünschte, er könnte es auf die Kälte schieben, die trotz des Feuers langsam aus seinen nassen Schuhen zu ihm empor kroch.
    Der Paladin griff hinter sich-
    und hielt Lethan eine kleine Holzschale entgegen.


    „Blaubeerchen?“
    „Was?!“


    Fassungslos starrte Letahn auf die Beeren in der Schale, dann zwischen den Eisenwintergeschwistern hin und her, die sich einen Blick zuwarfen, um dann prustend in schallendes Gelächter auszubrechen. Wieder wechselte die Pfeife den Besitzer und Asunder ließ sich wieder mit dem Rücken gegen den Kamin sinken, den Kopf an die Schulter ihres Bruders gelehnt. Ihr Kettenhemd klirrte leise.
    „Livven?“ fragte sie nach einigen langen Augenblicken, und die Alchemistin löste sich aus den Schatten, in denen Lethan sie zuvor nicht bemerkt hatte.
    „Ich kümmere mich darum.“ Liv fasste den deutlich größeren Boten beim Ellenbogen und schob ihn mit sanfter Gewalt in Richtung Tür. „Dreh dich nicht um“, flüsterte sie, „Sag nichts, geh einfach weiter. Wir reden bei mir.“


    Lethan hätte nie gedacht, so dankbar darüber zu sein, wieder hinaus in den Regen zu kommen.
    Die Alchemistin neben ihm summte ein Lied, von Löwen, Respektlosigkeiten und einer gefallenen Festung.


    Everyone's a whore
    We just sell different parts of ourselves.





    [T.Shelby -PB]

    Einmal editiert, zuletzt von Asunder ()