Raimund fühlte den Schmerz.
Er schrie laut auf, als ihn die Dornenranke mitten ins Gesicht traf und die Spitzen seine Haut durchbohrten. Nur mühsam bekam er sie mit dem Kettenhandschuh zu greifen.
"Was ein Dreck", dachte er. "…da hat mir Herr Kaldor Kayanee ja einen schönen Bären aufgebunden!" Und Raimund konnte nicht mal mehr grinsen über das allzu dämliche Wortspiel.
"Bär-heim-aufgebunden", murmelte er vor sich hin und spuckte Blut aus.
Das Pferd sträubte sich wiederholt und noch immer, so rüde am Zügel hinter dem müden Mann her durch das dichte Unterholz gezerrt zu werden. Dieses verdammte Tannendickicht…
Mehrfach war der Sturmfalke einfach kurz davor gewesen, aufzugeben. Unverrichteter Dinge umzukehren.
Zum wiederholten Male schaute er hoch. Die Sonne konnte er nur hinter den unglaublich dichten Baumkronen vermuten. Raimund diente seit gut zehn Jahren im Kreis um die erlauchte Ritterschaft des Herrn Reichsverwesers Kayannee, aber sowas…?
Er hatte sich doch immer südöstlich gehalten. Immer Südost… er konnte es doch nicht verfehlt haben. Eine Unmöglichkeit. Und was sollte er Kaldor sagen? Das er zu dumm war, Bärheim zu finden?
Fast zweifelte er daran, dass hier die gleiche Sonne wie über Nordgard schien…
Geräusche rissen ihn aus seinen trüben Gedanken. Doch sie kamen gedämpft… wie aus weiter Ferne… er hörte… ein Jagdhorn? Konnte das sein…? Dann schien es ihm, als brach die hl. WILDE JAGD der Götter selbst durch den Wald… im gestreckten Galopp… nur wo? In diesem dichten Wald? Hektisch drehte er den Kopf und erwartete jeden Moment die Reiter zu sehen… doch… da war nichts. Bäume, Bäume, dreimal Bäume… und Unterholz. Es war zum Verzweifeln. Dann verstummten die weiten Hufschläge auf dem weichen Waldboden…
Entmutigt sah er, wie sich vor ihm jetzt eine mächtige, wilde Hecke erhob, deren Grün ihm die Sicht nahm und deren Ranken weit ausholten. Schon wieder. Das Ross war schon wie betäubt und folgte seinem Herrn nur noch wie stoisch dem weiten Halbkreis, den die Hecke hier beschrieb.
Zu seiner… Überraschung… erreichte er plötzlich ein… Ende? Und er sah es erst, als er unmittelbar davor stand. Abrupt hörte das Dorngebüsch auf… und gab den Blick frei… auf ein kleines Feld. Raimund rieb sich die Augen? Gerste? Im Wald? Die Pflanzen waren bereits kniehoch und die Ähren versprachen eine gute Ernte. Raimund schüttete den Kopf, aber es war kein Spuk. Jetzt sah er rechter Hand, dass dort nicht einfach ein enger Birkenhain stand. Nein, dort kletterten gepflanzte und gehegte Hopfen an den jungen Bäumen empor… Und ein Stückchen weiter… ließ sich ein Pfad erkennen, den er zuvor nicht bemerkt hatte…
Ein Stein in der Größe des neuen Tores von Valensdorf fiel ihm vom Herzen…
* * *
Soweit man sah, lungerten drei Wachen gelangweilt am Tor herum, als die dem blau-gelben Waffenrock ansichtig wurden. Sie standen unten im Durchgang auf der rechten Seite, denn der linke Flügel war geschlossen und verkeilt.
Einer der Kerle steckte die Finger in den Mund und ein Pfiff gellte durch die Stille. Doch war nicht zu sehen, dass irgendwas daraufhin passierte. Langsam nähere sich der Reiter der hölzernen Toranlage, welche die hohe Holz-Erde-Mauer unterbrach und hob die Hand zum Gruße und steckte wohl eine Spur zu hastig die Hand in den Gürtel, um eine Pergamentrolle zu ziehen.
"Eyy, mak ma lanksam, Towarisch", wurde er angerufen. Und dann sah er, dass oben auf der Mauer, zwischen den Ritzen in den Brettern, mindestens ein gefiederter Bolzen herauslugte.
Einer der vodgodischen Bauern kam jetzt auf den Ritter zu, musterte ihn misstrauisch und streckte vorsichtig die Hand nach der Botschaft aus. "Lass myr ma dat Siegäl sähn, Härr…", meinte der Mann dann skeptisch und schaute flüchtig hin… "Evgenij… iss sich mit Wällen über näm Sinnenkranz!", grunzte er dann nach hinten.
Was ein armseliges Pack, dachte der Bote des Reichsverwesers. Kopfschüttelnd sah er, wie einer der Kerle, vermutlich mit dem Wachbuch, rauskam. "Dat da?", fragte er auf eine Zeichnung zeigend. "Nee, dat war sooo… dat hyr… Mortgart… ?", spekulierte der andere.
Genervt über das langsame Prozedere schnappte der Sturmfalke ungehalten: "Mein Name ist Ritter Raimund. Ich bin ein Gesandter des Herrn Kaldor Kayanee aus Nordgard…", doch die erhoffte Wirkung auf die gewichtigen Worte blieb aus.
Die Wachleute schauten sich schulterzuckend an. "…und will zu Herrn Rafael von Bärheim.", ergänzte Raimund wenig hoffnungsvoll.
"Gann ja jäder sagn. Müssen ma nachfragn… warteste ma hier schöön."
* * *