• Asunder musterte den Boten, der, noch in schlammigen Stiefeln, vor dem wuchtigen Schreibtisch stand, dessen dunkles Holz durch den Kampf um das Lehen fast genau so viele Narben davongetragen hatte, wie die Ordensmeisterin selbst in ihrem Leben. Das Feuer im Kamin war herunter gebrannt und das wenige Licht der Kerzen ließ ihre Züge in unruhigem Halbschatten.


    „Nimm das dumme Grinsen aus dem Gesicht, sonst kupier ich dir die Ohren wie einem räudigen Köter!“ Das Lächeln, das in ihrer Stimme mitschwang, strafte die Härte ihrer Worte Lügen. Es war für sie alle eine ungewohnte Situation, eine . . . fremde Zeit. Die Männer und Frauen, sie selbst eingeschlossen, waren Seeleute, Krieger, Ritter. Keine Siedler oder Pioniere. Man verließ die Heimat nicht, um irgendwo neu anzufangen. Nicht, dass sie selbst jemals wirklich geglaubt hätte, es gäbe einen Platz, an dem so etwas möglich wäre. Nicht so zumindest.


    „Wie war es sonst, neben gutem Essen, Bier und dieser“, sie wedelte mit der behandschuhten Linken, als versuche sie, einen Teil der Dunkelheit im Zimmer zu verscheuchen, doch das Flackern der Kerzen im Luftzug sandte nur noch mehr tanzende Schemen über die Wände. „. . . dieser jungen Frau?“ Ihre Augenbrauen unterstrichen den leichten, aber gutmütigen Spott in ihrer Stimme.
    „Wie steht es um das Lehen? Seine Bewohner? Seine Herren?“


    „Gut, Asunder.“ Der Bote, Lethan mit Namen, schlenderte im Zimmer auf und ab, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Der Paladin selbst bedeutete ihm mit einem Nicken, fortzufahren, während sie selbst die Füße auf den Tisch schwang, mit der Hacke einige Papiere zur Seite schob und tiefer in ihrem hochlehnigen Stuhl zurücksank. Die informelle Anrede schien sie nicht im geringsten zu stören.


    „Besser als das, was ihr aus Valensdorf berichtet habt. Und sehr gastfreundlich.“
    „Oder darauf aus, dass du nicht zu viel siehst, zu viel hörst und zu viele Fragen zu mir nach Hause trägst, Welpe“, entgegnete Asunder, entkorkte die Weinflasche, die an ihrer Seite auf dem Boden gestanden hatte, mit den Zähnen, nahm einen Schluck und reichte sie dem anderen. Dieser nahm sie respektvoll mit ausgestrecktem Arm entgegen, während sie weitersprach, „Ein wenig mehr Bier, als zum Aufwärmen nach einem solchen Ritt nötig. Ein paar schöner Augen, ein tieferer Ausschnitt und schon bist du verloren.“


    Lethan zog die Augenbrauen zusammen und schnaubte, doch bevor er etwas zu seiner Verteidigung erwidern konnte, hob die Ordensmeisterin die Hand. „Schon gut, schon gut. Ich hätte dich nicht geschickt, würde ich dir nicht vertrauen. Und etwas weniger des üblichen Misstrauens und ein wenig mehr . . . Offenheit . . . tut uns gut. Die Dinge sind . . . komplexer.“ Sie drehte das Geschenk aus Bärheim zwischen den Fingern. Unbezahlbar.
    Genau wie der Brief selbst.
    „Es ist anders hier als Daheim.“


    „So wie dieses . . . Schreiben?“ Lethan fletschte die Zähne und in seinen Augen lag etwas, das Asunder nicht gefiel. „Hättest du mich gelassen, hätte ich diesem Bastard von einem Möchtegernritter einen Bolzen zwischen die Augen gejagt, bevor auch nur einer seiner Lichtbrüder -“
    „Es ist nicht der Weg des Ordens und somit nicht länger der deine, Lethan. Vergiss das nicht!“ Asunders Tonfall war schneidend. „Es gibt Zeiten, in denen es gilt, das, was in dir brennt, zu meistern. Du wirst es an einem anderen Tag brauchen. Für andere Dinge."
    Sie seufzte. Wie lange hatte sie selbst gebraucht, diesen Weg zu verstehen, geschweige denn, ihn zu beherrschen?
    "Vergiss nicht, was dich leitet. Was uns leitet. Bewahre es dir und verschwende dein Feuer nicht für solche Lappalien, die sich . . . angemessener regeln lassen. Und jetzt geh, mit dem Segen des Vaters und den flinken Füßen der Mutter, und hol mit Livven. Wir reden später weiter, wenn du dich erholt hast.“


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    [T.Shelby -PB]

  • „Dieses...“ Der Fluch, der über Livvens Lippen kam, hätte ihre Ahnen mehr als stolz gemacht, während sie mit der Hand schwungvoll vom Tisch fegte, was dort stundenlang vor sich hingeköchelt hatte und dennoch nicht geworden war, wie sie es sich vorgestellt hatte. „Nichts in diesem verdammten Wald hat irgendeinen Wert!“ Glas klirrte, die Flüssigkeit zischte kraftlos auf dem hölzernen Boden. Ungefährlich, so kurz wie es rauchte und zwischen den Bohlen verschwand ohne eine Spur zu hinterlassen. Wahrscheinlich hätte es nicht mal eine Brühe würzen können...


    Die Alchemistin seufzte und sah kurz durch das Fenster auf das schier unendlich wirkende Grün, dass das Dorf umgab. Ein Knurren bildete sich in ihrer Kehle, doch bevor ihr Zerstörungswahn noch mehr ihres Turmes in Schutt und Asche legte, klopfte es. Kurz versucht es einfach überhört zu haben, waren es meist eh nur die kleinen Wehwehchen der Dorfbewohner die an sie herangetragen wurden, klopfte es erneut. Ihr Ja war gefährlich lang gezogen und Vorsicht lag auf dem jungen Gesicht, dass um die Türecke linste, sich der Gefahr bewusst, was passieren konnte, wenn man Livven auf dem falschen Fuß erwischte. Immerhin stammten sie aus einer Familie. „Lethan ist unten.“ Ihr junger Helfer betrat das Zimmer langsam, den Blick auf das Chaos gerichtet, dass sich auf dem Boden vor ihm erstreckte. „Asunder schickt ihn.“ Wieder seufzte Livven, hasste sie Störungen, besonders dann, wenn es eh schon schleppend lief. Doch dem Ruf ihrer Freundin folgte man lieber. Mit einem Finger zeigte sie auf den Knoten ihrer Schürze, die der Junge rasch löste, bevor er sie ihr abnahm und zusammenfaltete. Ihre Kleidung glatt streichend, eine einfache graue Kniebundhose und ein petrolfarbenes Mieder, suchte sie kurz den Blick des Jüngeren. „Räum das hier auf.“ Ihre Worte waren schärfer als sie es ihm gegenüber beabsichtigte, immerhin mochte sie den Jungen eigentlich, doch da er ihre Launen kannte, nahm er es ihr nicht sonderlich übel und machte sich rasch an seine Arbeit, während Livven die Treppe nach unten schritt, wo im Wohnraum ihr Gast wartete.


    „Asunder will dich sehen...“ Er stockte, als würde er sich eine Art Beleidigung verkneifen müssen, während er auf die Türe zeigte. „Oh, ich kenne den Weg, Bluthund.“ Sie fletschte die Zähne, trat dann hinaus auf die Straße, während die Wolken über ihrem Haus langsam die Schleusen öffneten und die ersten Regentropfen ihren Weg begleiteten, und überhörte geflissentlich, dass Lethan etwas von wegen 'Ist denn heute Hundetag?!' vor sich hinmurrte. Die Bauern auf dem kleinen Marktplatz eilten in Richtung ihrer Häuser, die Hände über die Köpfe gestreckt, um der sich ankündigenden Sinnflut zu entkommen. Livven hingegen störte es weniger, auch wenn ihr Haar tropfte als sie Asunders Haus erreichte und sie schlammige Schuhabdrücke in der Eingangshalle hinterließ. Hinter ihr schüttelte sich Lethan wie der Hund, den die Alchemistin in ihm sah - vielleicht hatte der Burschen ja doch recht - und übernahm die Führung, auch wenn sie den Weg in das Arbeitszimmer der Ordensmeisterin kannte.


    „Asunder,“ er stieß die schwere Türe auf, nachdem er geklopft hatte, und Livven trat, ihr schwarzes Haar zurückstreichend, in den dunklen Raum, die Türe rasch wieder schließend und Lethan damit aussperrend. Immer noch tropfend schob sie sich einen der großen Sessel zurecht und flätzte sich schließlich, als er richtig stand, hinein, sah dann zu Asunder hinüber. „Amüsier mich mit etwas. Irgendetwas.“

  • „Ist das meine Aufgabe?“ fragte Asunder kühl, während sie sich erhob, ein Holzscheit in den Kamin warf und es mit dem Schüreisen zurechtschob. Livven war sicherlich, wie einige andere derer, die sie hierher begleitetet hatten, mehr als nur Gefolgsfrau, aber an manchen Tagen bekam es auch Freunden nicht gut, sie auf dem falschen Fuß zu erwischen. Lethans kurzer Ausbruch hatte ihr einmal mehr verdeutlicht, wie viel Kraft das hier alles kostete. Nicht nur an äußeren Fronten, sondern auch, und immer, an den inneren.


    Die ersten Flämmchen leckten bereits über das frische Holz, als sie sich zu ihrer Freundin umwandte, das Schüreisen noch in Händen. „Du hast scheinbar einen bleibenden Eindruck hinterlassen.“ Sie nickte in Richtung des Schreibtisches. „Du hast Post aus Bärheim.“


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  • Asunders Laune knisterte in der Luft genau so laut wie der Holzscheit im Kamin. Ein Geräusch das die feinen Härchen in Livvens Nacken vibrieren ließ. Sie hatte schon öfters Erfahrungen mit solchen Situationen gemacht und wusste wie man sie am besten überstand. Weshalb sie auf die rhetorische Frage der Älternen nicht einging, während sie sich vormerkte später etwas in die Wege zuleiten, was Asunders Gemütszustand sicherlich verbessern würde. Er kannte da so seine Tricks.


    Neugierig reckte sie schließlich den Hals, griff dann nach dem kleinen Lederbündel auf dem ihr Name stand. Ihr Erstaunen über die Post ließ sie sich dabei nicht anmerken, immerhin sollte Asunder nicht all zuviel in diese Geste hineininterpretieren. Gar beiläufig erklärte sie: „Du kennst mich,“ während sie die Schnürung löste und augenblicklich lächelte, den kleineren Gegenstand herausnehmend und im flackernden Licht drehend. Fast schon kindlich kichernd warf sie das Geschenk Asunder zu. „Schau, ein Wurm.“ Sie zwinkerte ihrer Freundin zu, wandte sich dann dem zweiten Gegenstand zu... und zögerte. Schon einmal hatte er ihr etwas geschenkt und ab und an spürte sie die Kälte der Kette immer noch in ihrem Nacken. Und da man sie nur einmal linkte...


    Livven schlug das Päckchen wieder zu. Sie würde sich zuhause darum kümmern und suchte wieder den Blick ihrer Ordensmeisterin. „Also war Lethan in Bärheim,“ schlussfolgerte sie aufgrund seiner Abwesenheit in der letzten Zeit. Etwas was sie kurzzeitig besorgte ~ und das sie es tat machte ihr noch mehr Sorgen! ~ immerhin hatte der Bluthund einen gewissen... Ruf. Und den eines Diplomaten sicherlich nicht.


    Ihr Blick wanderte über die unzähligen Schriftrollen und Bücher, die auf Asunders Schreibtisch lagen, ohne auch nur etwas im dämmrigen Licht lesen zu können. Hier würde sie wohl nichts erfahren, von dem die Andere nicht wollte das sie es erfuhr. Nun, sollte Asunders freiwillige Auskunft ihr dann nicht reichen, würde sie wohl den Weg über Lethan gehen müssen. Etwas, was ihr nicht gefiel, aber wohl manchmal einfach nötig war. Sie brachten in diesem verdammten Wald alle ihre Opfer.

  • Asunder legte das eigenwillige Geschenk, das Livven ihr zugeworfen hatte, nach kurzer Betrachtung auf ihren Schreibtisch. Herr von Bärheim und ihre Gefährtin schienen, nebst all dem anderen, auch noch einen gewissen Sinn für Humor zu teilen. Was auch immer das über die Alchemistin aussagte.
    Oder über den anderen . . .


    Sie griff nach einem anderen, blassen Stück Pergament, auf dem die kantigen Runen ihrer Heimat so gestochen scharf hervortraten, wie die Grate der Berge an einem klaren Tag. Eine unverkennbare Handschrift.


    „Er schreibt 'nach dem Winter'“, begann sie und riss Liv damit aus ihren Gedanken. Bevor die Alchemistin auch nur eine Frage stellen konnte, reichte Asunder ihr den Brief, ein dünnes Lächeln auf den Lippen. „Zweihundert, mindestens, direkt von der Nordgrenze.“
    „Und wie?“
    „Seeweg. Wenn Balduin zustimmt, dann über Valensdorf.“
    „Schiffe?“
    Es war nicht die Frage ob, sondern wessen.
    Natürlich hatte sie die Frage erwartet und warf Livven zwei weitere Nachrichten zu.


    „Ich werde einiges zu erledigen haben und ich denke, dass du deinen Teil dazu beitragen kannst. Mehr Briefe . . .“, sie wirbelte das Schüreisen herum wie ein kurzes Schwert, weit weniger geschickt, als man hätte erwarten können. „Mehr Kontakte.“ Sie ging in eine halbherzige Kampfposition, richtete die Spitze auf Liv und lachte, bevor sie sie umwandte und es in Richtung Kamin warf, wo es zwischen den Holzscheiten stecken blieb. Funken stoben auf und knisterten, verglühten.


    „Bei Seinen Blutigen Händen . . . ich hasse diese fipsigen Einhandwaffen.“


    Mit in die Hüften gestemmten Händen musterte sie ihre Freundin erwartungsvoll. „Ich werde mich um die Dinge in der Ferne kümmern. Du dich um die Naheliegenden." Sie griff nach dem bärheimschen Geschenk und reichte es Livven zurück. "Ich vertraue dir."


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  • Ein Vertrauen das Livven nicht enttäuschen würde. Sicherlich, sie erzählte Asunder nicht alles, doch sie war Familie. Und dieser war die junge Frau gegenüber treu, egal wie oft sie sich auch mit der Anderen stritt. Pack schlug sich, Pack vertrug sich, wie es eben so schön hieß. Zudem war Livven sich sicher, dass auch ihre Freundin das ein oder andere schmutzige Geheimnis vor ihr hatte...


    Ein Gedanke der sie schmunzeln ließ, genauso wie das Schürhaken-Theater, während sie nickte und die Briefe entgegen nahm, die Asunder ihr reichte. Ihre Schreibfeder würde wohl wahrlich in nächster Zeit arg gefordert werden ~nicht das sie nicht ohnehin schon den ein oder anderen gut platzierten Brief in Umlauf gebracht hatte. Nun sollten wohl auch noch Ser Halbzwerg, der beim Alkohol aus ihrer Heimat gleich das Weinen begann, und der Ziegenhirte dazu kommen. Eine gute Wahl, wenn man sie fragte und es würde ihr Freude bereiten mit ihnen Kontakt aufzunehmen.
    Eine Freude, die Asunder nicht zu teilen schien ~immerhin handelte es sich beim Verfasser des ersten Briefes um niemand geringeren als ihren Vater.


    Lord Eisenwinter hatte Livven nie kennengelernt und nur ein oder zwei Mal aus sicherer Entfernung gesehen, wenn dieser mit ihrem Vater oder Bruder Geschäfte machte. Und auch wenn sie sonst nicht viel auf Vaynes Gerede gab, hier glaubte sie jedes Wort was er über den Lord verlor ~stets nur unter vier Augen! Denn wenn er als Freund gutes Geld brachte ~und einen Großteil des Vermögens der Krähenaugen beruhte auf seine Großzügigkeit ~so brachte eine Feindschaft mit ihm nur eines ~einen unangenehmen Tod. Und darauf war niemand in ihrer Familie sonderlich scharf.


    Livven erhob sich, im Gegensatz zu ihrer Ankunft ein Lächeln auf den blassen Lippen. „Dann gibt es jetzt wohl viel zu tun!“


    Draußen schien bereits wieder die Sonne.